Fahrstreifenwechsel
Anscheinsbeweis beim Fahrstreifenwechsel
Ereignet sich ein Unfall im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht gegen den Fahrstreifenwechsler der Beweis des ersten Anscheins, der einen schuldhaften Verstoß gegen § 7 Absatz 5 StVO begründet (OLG München, Urt. v. 1.12.2006 – 10 U 4707/06). Den strengen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Absatz 5 StVO bei einem Fahrstreifenwechsel genügt ein Fahrer nur dann, wenn er vor dem Fahrstreifenwechsel in Innen- und Außenspiegel schaut, sich mit einem Schulterblick umsieht und den Wechsel mittels des Fahrtrichtungsanzeigers rechtzeitig anzeigt sowie bei dem anschließenden Fahrstreifenwechsel die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließt. Kann er den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern, haftet der Fahrstreifenwechsler aufgrund seines überragenden Fehlverhaltens grundsätzlich alleine und die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeuges tritt dahinter vollständig zurück (OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2014 – I 9 U 60/14).
Fahrstreifenwechsel beim Reißverschlussverfahren
Am 08.09.2017 ereignete sich in S. auf der Auffahrt über die Wilhelm-Heinrich- Brücke auf die BAB 620 in Richtung Mannheim ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Fahrer, Halter und Eigentümer des bei der Widerbeklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw BMW 320d und der Beklagte zu 1 als Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw BMW 120d waren. Der Kläger befuhr aus Richtung Stengelstraße kommend die Franz- Josef-Röder-Straße, um über die davon abgehende Zufahrtstraße an der Anschlussstelle Wilhelm-Heinrich-Brücke auf die BAB 620 in Richtung Mannheim aufzufahren. Der Beklagte zu 1 fuhr von der Wilhelm-Heinrich- Brücke kommend ebenfalls auf der Zufahrtstraße. Diese verläuft zunächst zweispurig, bis der rechte Fahrstreifen auf den linken aufgeführt wird. Nach dem Ende des rechten Fahrstreifens ist dort eine schraffierte Sperrfläche angebracht. Der verbleibende linke Auffahrtstreifen mündet schließlich spitzwinklig in die an dieser Stelle zweispurige BAB 620 ein. Der Kläger wechselte nach der Auffahrt der beiden Fahrzeuge auf die Zufahrtstraße auf den rechten Fahrstreifen. Im Anschluss daran kam es unter zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einem Zusammenstoß der rechten Vorderseite des Beklagten-Pkw mit der linken Heckseite des Kläger-Pkw. Mit Anwaltsschreiben vom 12.09.2017 machte der Beklagte zu 1 gegenüber der Widerbeklagten zu 2 Ansprüche geltend. Der Kläger forderte die Beklagte zu 2 unter Fristsetzung zum 28.09.2017 zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 9.846,90 € auf.
Der Fahrstreifenwechsler hat eine Gefährdung des fließenden Verkehrs bis zu dem Zeitpunkt auszuschließen, in dem er sich vollständig in den fließenden Verkehr mit der dort herrschenden Geschwindigkeit eingegliedert hat. Letzteres ist nicht der Fall, wenn der Fahrstreifenwechsler vor einem überholten Fahrzeug einschert und damit dessen Sicherheitsabstand zu einem anderen vorausfahrenden Fahrzeug verkehrsgefährdend verkürzt, so dass es nach einer Fahrstrecke von allenfalls 15 m zum Zusammenstoß kommt.
Wegen der hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Absatz 5 Satz 1 StVO, der den Ausschluss einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verlangt, ist grundsätzlich – und damit erst recht im vorliegenden Fall des unzulässigen Rechtsüberholens unter Überfahren einer schraffierten Sperrfläche – von der vollen Haftung des Spurwechslers auszugehen, weil die einfache Betriebsgefahr des anderen Kraftfahrzeugs hinter das gewichtige Verschulden des Spurwechslers zurücktritt (OLG München, Urteil vom 26.04.2013 – 10 U 357/12). Eine Mithaftung des Auffahrenden kommt in Betracht, wenn dieser die Geschwindigkeit nicht herabgesetzt hat, obwohl er den Spurwechsel erkennen konnte, oder wenn er falsch reagiert hat. Diese Voraussetzungen sind hier zu verneinen.
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